Das über Jahre gesammelte Volksgut der Banater Schwaben in einem Buch, illustriert von Walter Andreas Kirchner, herausgegeben von Walther Konschitzky
Ich sin e kleene Keenich Banater Volksgut in der Bilderwelt von Walter Andreas Kirchner Die Heimattage der Banater Schwaben führten im Sommer dieses denkwürdigen Jahres 2023 viele unserer Landsleute ins Banat, wo wir das 300. Jubiläum der Einwanderung unserer Ahnen feiern durften. Auf den Straßen Temeswars vernahm man wieder vertraute Mundarten, auch so manche lange nicht gehörte Redewendung. Es ist schön, dass es die Verbindung zur alten Heimat und zu den Menschen dort gibt, die mithelfen das Erbe der Banater Schwaben zu bewahren, dennoch ist uns bewusst, dass dieses Erbe an nächste Generationen hauptsächlich in Büchern und Museen weitergegeben werden kann. In diesem Sinne ist das Buch „Ich sin e kleene Keenich“ mit dem Untertitel „Banater deutsches Volksgut illustriert von Walter Andreas Kirchner“ ein wahrer Schatz, denn das Buch ist das Ergebnis einer Sammeltätigkeit und Auseinandersetzung mit dem Banater Volksgut über viele Jahre. Walther Konschitzky hat sich schon als Student mit den Banater Sprichwörtern befasst. In den Jahren seiner Aktivität als Redakteur der deutschsprachigen Zeitung „Neuer Weg“ (1967 – 1987) in Bukarest hat er sich für das Sammeln und Publizieren des Banater Volksguts eingesetzt. In jene Zeit fällt die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Maler, Grafiker und Bildhauer Walter Andreas Kirchner, mit dem ihn eine schöne Freundschaft verband und noch immer verbindet. Auch nach seiner Ausreise (1989) befasste sich Walther Konschitzky weiterhin mit dem Thema Banat. Er ist ein guter Kenner des Werkes von Walter Andreas Kirchner, 2008 erschien im Banat-Verlag Erding sein Buch „Walter Andreas Kirchner: Maler, Grafiker, Bildhauer“, das hauptsächlich das Frühwerk des Künstlers sehr eingehend in seiner Komplexität, Schönheit und Aussagekraft vorstellt. Aus der Zusammenarbeit der Beiden erschienen bereits in Rumänien Bücher mit illustrierter Volksliteratur der Banater Schwaben, waren sie sich in den Jahren der kommunistischen Diktatur doch bewusst, wie gefährdet das Volksgut infolge von Vertreibung, Deportationen und Auswanderung war. 1972 startete die Zeitung „Neuer Weg“ auf Initiative von Walther Konschitzky eine Sammelaktion von Banater Kulturgut mit einem Appell an alle Banater Ortschaften. Gesammelt wurden Märchen, Sagen, Schwänke, Texte zu Brauchtum, Kinderreime und Kinderspiele, Sprichwörter, Redensarten, Vergleiche, feste Fügungen. Die Aktion zog sich bis 1986 hin, in den Kulturbeilagen der Zeitung erschien über Jahre hinweg Banater Volksgut. Das war nicht immer einfach, da alles was veröffentlicht wurde, der Zensur unterlag. Am 20. Juni 1976 fand im Konzertsaal des Temeswarer Musiklyzeums die Preisverleihung an die erfolgreichsten Sammler mit Darbietungen von Banater Volksgut statt, an der auch der Schubert-Chor mitwirkte. Im Foyer des Lyzeums stellte Walther Konschitzky eine Ausstellung mit achtzehn Holzschnitt-Illustrationen Walter Andreas Kirchners zu Banater Sprichwörtern vor. Der Grafiker hat für die Volksgut-Sammler auch eine Ehrenurkunde entworfen: ein Bild der bäuerlichen Welt mit ins Dorf heimkehrenden Schnittern im Schein der untergehenden Sonne – ein einprägsames symbolträchtiges Bild. 1979 erschien im Kriterion Verlag, Bukarest das Buch mit dem Titel: „Märchen, Sagen, Schwänke“ mit einem Vorwort von Dr. Johann Wolf, herausgegeben von Walther Konschitzky und Hugo Hausl, illustriert von Walter Andreas Kirchner mit dreizehn Radierungen. Ein zweites Buch mit dem Titel „Reime, Rätsel, Kinderspiele“ erschien 1989 ohne die vorgesehenen Illustrationen, da Kirchner bereits 1981 ausgereist war. Konschitzky, der Herausgeber des Buches, zeichnete wegen seiner Ausreise mit dem Pseudonym Horst Wichland. Im aktuellen Buch sind nun sämtliche Volksgut-Illustrationen Kirchners zum ersten Mal zusammen zu sehen. Auf den ersten Seiten sind zirka 150 Sammler mit Namen und den betreffenden Ortschaften vermerkt. Walter Andreas Kirchner wählt für seine Illustrationen verschiedene Arbeitstechniken. Für die Sprichwörter und Kinderreime gebraucht er den Holzschnitt, für die Volkserzählungen die Radierung. Neu in diesem Band sind die farbigen Illustrationen, für die sich Kirchner bei der Gestaltung der Märchen entschied. Nach der aufschlussreichen Einführung von Walther Konschitzky in die Schaffenswelt des Künstlers werden die Leser wie in einer Ausstellung durch Bilder und Texte geführt, welche die Welt der Banater Schwaben mit ihrem Alltag, ihrem Witz, Humor, Schmerz und Trauer wiedergibt. Kirchners Bilder weichen von den textgetreuen traditionellen Mustern ab, seine Bilder lassen oft Raum zur Interpretation. Doppelsinn und Zweideutigkeit waren in der Zeit der kommunistischen Diktatur probate Mittel, das mitzuteilen, was nicht gesagt werden durfte. Das Buch ist thematisch gegliedert. Der erste Zyklus umfasst Kinderreime und Kinderspiele für die Kirchner acht Holzschnitte geschaffen hat. Für den zweiten Zyklus der Sprichwörter und Redensarten schuf er achtzehn Holzschnitte. Die Texte in Mundart hat Kirchner in seine Holzschnitte integriert und in altdeutscher Schrift gestaltet. Wie die Holzschnitt-Blätter im Rumänien der 1970er Jahre entstanden, als gar keine Druckerpresse dafür vorhanden war, ist als interessante Geschichte im Buch zu lesen. Zuletzt stellt das Buch die Volkserzählungen, untergliedert in Märchen, Sagen und Schwänke vor, für die Kirchner achtzehn Radierungen schuf. Walther Konschitkzy äußert sich dazu: „Jedes einzelne Blatt der drei Volksgut-Serien zeugt vom Einfallsreichtum und von der Spontaneität des Künstlers… Kirchner identifiziert sich mit den gewählten Themen, er involviert sich. Die Motive und Geschichten, denen er sich zuwendet, waren auch seine oder sind es mit der Zeit geworden. Er legt viel Eigenes hinein: emotionale Erinnerung, Erlebtes, Erfahrenes, Erarbeitetes.“ (S. 19). Eine Liste mit Literatur zum Thema, sowie je eine Tafel mit biografischen Daten, Werk und Wirken von Künstler und Herausgeber sind im Anhang zu finden. Der Zyklus der Kinderreime beginnt mit dem titelgebenden Neujahrswunsch „Ich sin a kleene Keenich“, der so gut wie in allen Banater Dörfern in verschiedenen Varianten bekannt war. Wie vertraut das Bild mit Vater und Mutter in schwäbischer Tracht, der gemauerte Ofen, die Wanduhr, der Schrank auf dem die Quitten aufgereiht sind und ihren Duft verbreiten! Und dann die Kinder, die ihr Sprüchlein von Haus zu Haus tragen, die Taschen voller Leckereien… Walter Andreas Kirchner versteht es wunderbar, den Betrachter mit allen Sinnen in jene ferne und doch so heimelige Welt zu entführen. Und so geht es weiter, ob es sich um die furchteinflößenden Kürbisse in „Dreilichtcher beim Kukruzliesche“ handelt, oder das Lied „Ich han gheert, ihr hät gschlacht“ ertönt, beim Reigenspiel „Do sitzt die alti Babo“, oder „Blinde Kuh, die bist du“. Ernst und schmerzhaft wird auch in den Kinderreimen deutlich, was es heißt, wenn der Krieg alles zerstört, ein Thema von leider trauriger Aktualität. „Kikeriki, mei Vater is im Kriech, / mei Motter is tot! / Wer gibt mer jetz Brot?“ Überdimensional ist der die schlimme Botschaft verkündende Hahn in Kirchners Holzschnitt. Feuer und Rauch über den Häusern. Verzweifelte und weinende Menschen. Am Wegrand eine Puppe mit ausgerissenem Arm. Diese Bilder lassen keinen unberührt. Zu den Sprichwörtern die Kirchner auf den Holzschnitten darstellt, äußert sich Walter Engel in der „Banater Post“ (April 2021): „Kirchner greift nicht zurück auf tradierte, meist idyllische Darstellungen des bäuerlichen Lebens. Er suggeriert vielmehr in den des Öfteren als Szenen komponierten Grafiken den mehrdeutigen Mutterwitz und die Pfiffigkeit, die hinter manchem Sprichwort stecken und zur Wesensart der Banater Bauern gehörten.“ Man sieht bis ins nächste Dorf, es ist wohl die Banater Heide, in der Kirchner die Kutsche eines Reichen im Dreck stecken bleiben lässt. Herausziehen muss ihn unter großer Anstrengung der Arme. Was für ein suggestives Bild zu dem Sprichwort: „Ja so is es uf der Welt, der een hat de Beitl, der aner hat`s Geld. Mir han mol wieder de Beitl.“ Die Pfiffigkeit fasziniert in dem Sprichwort: „Kummt`r uf´s Ross de Bettlmann , reit`r ärger wie de Edlmann“. Dieses Sprichwort hat zu jeder Zeit seine Gültigkeit, jedoch in der kommunistischen Diktatur gehörte dieser Text mit Kirchners Bild, in welchem der Bettelmann triefend vor Arroganz die Huldigung der Untertanen einfordert, zu den kleinen Triumphen über Dummheit und Willkür im Überwachungsstaat. Die Radierungen, welche Kirchner für die Welt der Märchen wählt, bringen fantastische Elemente in seine Illustrationen, dennoch ist immer wieder das schwäbische Dorf zu erkennen. Manche Märchen nennen sogar einen konkreten Ort, wie „Der Schatz im Burgkeller“, wo man auf Wilagosch / Schiria hingewiesen wird. Im Märchen „De Franzi un de Riesemann“, das die Illustration für das Cover des Buches stellt, kommen zwar fantastische Elemente vor, doch auch der schwäbische Bauernhof, aus dem der Riese das Laub stiehlt. Franzi, der vom Riesen verschleppt wird, freundet sich mit den Pferden des Riesen an, pflegt sie und wird schließlich durch sie gerettet und wohlhabend. Auch im Märchen bleibt die Nähe zur Natur und den Tieren des schwäbischen Bauern das Wichtigste. Einige Märchen sind spezifisch für bestimmte Dörfer, andere wieder wie „De Daumenickl“ waren im ganzen Banat bekannt. Die Volkserzählungen wurden in voller Authentizität aufgenommen, manchmal auch mit derber Sprache. Was für ein Schatz sind die Sagen, die ortsgebunden sind! Wie schön, „Die fimf Higl“ zu lesen, wenn man diese immer wieder in Glogowatz gesehen hat. So wird so mancher im Buch eine Sage finden, die Erinnerungen weckt und sein Herz berührt. Großartig ist Kirchner die Radierung „Rúzso Sándor und der Baron“ gelungen. Stolz steht der Räuberhauptmann da, dem bösen Baron werden die Taschen geleert und er muss auf einem mit Nägeln beschlagenen Sattel wegreiten, angetrieben von dem Bauer, der nun die Peitsche schwingen darf. Geschichten von Rúzso Sándor waren im Banat wohlbekannt. Humor haben sie allemal, die Banater Schwaben, so verwundert es nicht, dass zu den Volkserzählungen auch Schwänke gehören. Viele wurden als „Buwestickle“ erzählt, waren die Jugendlichen in Gesellschaft doch oft auf Streiche aus. „De Kokosch im Brunne“ erzählt von einem geklauten Hahn, den die Buben als paniertes Fleisch sich zum Festessen machen wollen, doch das Fleisch wird nicht weich und landet schließlich im frisch gebohrten Orzydorfer Platzbrunnen. Kirchner führt in der Illustration den Betrachter durch alle Phasen der Geschichte. Da sind in der Ferne die Giebelhäuser, die Hühnerleiter zum Baum, wo die Hühner schlafen, die Küche mit dem an der Wand hängenden Töpfen, der Brunnen, die enttäuschten, müden Gesichter der betrogenen Betrüger. Zu Kirchners Illustrationen sagt Konschitzky: „In ihrer Gesamtheit sind sie ein einzigartiges Dokument zur dörflichen Kultur der Banater Schwaben“ (S.15). Weiterhin heißt es: „Viele Bilder Kirchners bleiben geradezu als Sinnbilder haften, und manchem Betrachter lassen sie selbst verblasste und verschüttete Erinnerungen zu einem neuen Heimaterlebnis werden.“ (S.18). Möge dieses Buch vielen unserer Landsleute Heimaterlebnis werden und vielen unserer Kinder und Kindskinder das Banat nahe bringen. Eva Filip
Der illustrierte Kunstband (144 Seiten) kann zum Preis von 28 Euro (zuzüglich Versandkosten) bestellt werden bei: Hedi Kirchner Friedenstr. 196 75173 Pforzheim E- Mail: hedikirchner@gmx.de Tel.: 07231/ 972725